Historie

Man kann sich die Gründung des Spielmannszuges nicht vorstellen, ohne des Mannes zu gedenken, der viele Stunden uneigennützig geopfert hat, um den Spielmannszug ins Leben zu rufen, des Postschaffners Franz Scholle.

Franz Scholle war 1877 geboren. Schon in seiner Schulzeit konnte er verschiedene Instrumente spielen. Seine Soldatenzeit verbrachte er in Metz. Als Regimentsmusiker spielte er Trompete, Konzerttrommel und Flöte; und er war auch im ersten Weltkrieg, den er vom Anfang bis zum Ende mitmachte, wieder bei der Regimentsmusik. In Lichtenau bestand schon um 1900 eine kleine, ländliche Musikkapelle, bestehend aus den Bürgern Kalbhen, Eichelmann, Schunicht, Bender und dem Holtheimer Müller. Kalbhen war Kapellmeister, von Beruf Schuhmacher und Friseur, Eichelmann war Maurer, Müller Holtheim war Waldarbeiter, Bender spaltete mit der Handsäge Tannen, die für Einfriedungen gebraucht wurden. Josef Schunicht hatte in Münster das Fassbinderhandwerk gelernt und war viel in der Welt herumgekommen. Man schätzte ihn in gemütlicher Runde sehr und hörte gern, was er über andere Gegenden und Menschen erzählte.  Zu dieser Musikkapelle gehörte dann auch Franz Scholle. Aufgespielt wurde zu den Festen in Lichtenau und den umliegenden Gemeinden, auch zu Familienfeiern. Als Postschaffner fuhr er jeden Tag mit der alten, mit Pferden bespannten Postkutsche als Beifahrer zum Bahnhof Neuenheerse, um die Post in Empfang zu nehmen. Auf dem Rückweg spielte er ab Ortseingang und den Nordberg herunter auf seiner Trompete „Die Post im Walde”, dann wusste jeder, dass die Post angekommen war.

Einige Jahre vor Gründung des Spielmannszuges gingen schon vor jedem Festzug 4 junge Burschen mit Trommeln durch alle Straßen der Stadt. Wenn vor dem ersten Weltkrieg die Schuljungen der letzten vier Jahrgänge zum Turnen zur Schützenhalle im gleichen Schritt die Mühlenstraße heruntergingen, dann ging ein Trommler voraus und die anderen trugen schwarz-weiße Fähnchen. Gesungen wurde dann neben Heimatliedern: „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben, die Fahne schwebt mir schwarz und weiß voran”. Überhaupt konnten viele Jungen Mundharmonika spielen und an schönen Juniabenden hörte man auch andere Instrumente. Auch war es für die Schuljugend selbstverständlich, dass fast jede Lehrerin und jeder Lehrer in der Gesangsstunde Geige spielen konnte. Auch Militärmusik war den Menschen unserer Heimat nicht fremd; bei den großen Herbstmanövern, die fast immer unsere Gegend berührten, zogen immer wieder Soldaten mit klingendem Spiel durch unsere Straßen. Auch Musikanten aus dem Eichsfeld fanden sich alle Jahre wieder ein. Sie spielten an den Straßenecken. Anschließend ging einer von ihnen von Haus zu Haus und die Leute warfen ihm eine Münze in den Hut, mit dem er sammelte. Der Bäckermeister Heinrich Risse, der für Musikanten immer eine offene Hand hatte, warf einmal 5 Mark hinein, dann haben sie vor seinem Hause eine halbe Stunde gespielt, Fernsehen und Radio gab es noch nicht.

Im Januar 1927 wurde beschlossen, einen Spielmannszug aufzustellen. Franz Scholle übernahm die Leitung und war danach auch der erste Tambourmajor. Geübt wurde bei Frömmings in der Werkstatt. Die Trommelstöcke zu Übungszwecken waren in der Werkstatt gemacht.
An den Übungsabenden beteiligten sich auch Johannes Barkhausen für die Trommler, der Müller Anton Leifeld für Flöte und Anton Riese, der in Dortmund bei einem Spielmannszug gewesen war und Trommel und Flöte beherrschte. Schützenverein und Kriegerverein stifteten je 2 Trommeln, sodass 4 Trommeln zur Verfügung standen. Marschiert wurde auf dem alten Sportplatz, der damals noch am Iggenhäuser Weg lag. Die Übungsstunden wurden in einen Raum in der Gaststätte Riese verlegt. August Riese war ein begeisterter Förderer des Spielmannszuges und blieb es sein ganzes Leben lang.
Als Erstes wurde die Locke gelernt, als erste Märsche Torgauer, Preußens Gloria und der Yorksche Marsch. Damals wechselten sich von Jahr zu Jahr Schützenfest und Kriegerfest und es war einer der größten Augenblicke des jungen Spielmannszuges, als Paderborner Bahnkapelle und Spielmannszug zum Schützenfest 1927 beim Einmarsch in die Halle zusammen „Preußens Gloria” spielten, und alle freuten sich, dass es geklappt hatte.
Bei allen Festzügen und bei der Gedenkstunde für die Toten des ersten Weltkrieges musste der Spielmannszug nun antreten. 1928 wurde Josef Bickmann Tambourmajor.

Die Gründungsmitglieder: Anton Riese, Karl Everinghof, Josef Lahme, Hubert Lahme, Josef Block, Anton Tölle, Josef Lülf, Anton Richters, Heinrich Tewes, Willi Frömming, Johannes Gehrken, Anton Grothe, Anton Jacobs, Franz Giesguth, Anton Kröger, Johannes Glahn, Eduard Leifeld, Heinrich Sicken, Josef Höschen und Johannes Höschen.

In den ersten Jahren des Bestehens wurde die Zahl der Trommeln auf 8 erhöht, dementsprechend auch die Zahl der Flöten. Im Jahre 1932 kam die Lyra dazu. Der Spielmannszug Lichtenau war ein leistungsstarker Verein geworden und aus dem kulturellen Leben der Stadt nicht mehr wegzudenken. Auch in den umliegenden Gemeinden wurde er bei den Festzügen gern gesehen. Uniform war blau-weiße Jacke, blaue Kappe mit Abzeichen, blau-weiße Achselstücke und weiße Hose.
Dunkle Wolken zogen am politischen Himmel auf, es kam der zweite Weitkrieg. Die ersten vier Lichtenauer, die zur Wehrmacht eintreten mussten, wurden vom Spielmannszug bis zur Ortsgrenze begleitet. Die meisten Mitglieder des Vereins wurden zur Wehrmacht eingezogen. Folgende Kameraden des Spielmannszuges sind nicht heimgekehrt: Karl Everinghof, Josef Lülf, Johannes Gehrken, Anton Grothe, Eduard Leifeld, Heinrich Sicken, Alois Müller, Heinrich Gehrken, Josef Bleck und Bernhard Westemeier. 
Im Winter 47/48 wurde mit alten und jungen Mitgliedern neu begonnen. Erster Auftritt war im April 1948. Anlass war der Fackelzug zum 50-jährigen Priesterjubiläum unseres Pfarrers Heinrich Weber. Das erste Schützenfest war am 1. Juni 1948. Dieser Tag war zugleich der Tag der Währung, dass heißt, das alte, entwertete Inflationsgeld wurde für ungültig erklärt und jeder Bürger bekam 40 DM als Neubeginn.

Im Winter 48/49 wurden viele junge Mitglieder in den Verein aufgenommen, Vom Jahre 1949 an wurde auf allen Festen in Lichtenau, Hakenberg und Asseln gespielt, und viele Musikfeste in der weiteren Umgebung wurden besucht. Im Jahre 1956 wurde eine einheitliche Uniform angeschafft mit dem alten Wappen der Stadt Lichtenau. 

Im Jahr 1951 wurde die Schützenhalle umgebaut und somit neu gestaltet. Durch die freundschaftliche Verbindung zum Schützenverein bekam der Spielmannszug einige Jahre später die Möglichkeit, seine Proben und Übungsabende in der Halle durchzuführen. Die Proben fanden in der Küche statt, die etwa dort war, wo zur jetzigen Zeit der rechte Bereich der Theke ist. Aus Erzählungen von Josef Tewes ist bekannt, dass dieser, aufgrund seines sehr nahen Zuhauses zur Schützenhalle, an den Wintertagen immer den Auftrag bekam, den Ofen für die Übungsabende vor Beginn des Spielens zu beheizen.

1952

Etwa im Jahr 1956 konnte dann eine einheitliche Uniform für den Verein angeschafft werden. Alle Musiker trugen weiterhin weiße Hosen (schwarze Hosen wurden erst später angeschafft) und einheitliche, dunkelblaue Uniformjacken. Diese Uniformjacken waren zuerst nicht sonderlich beliebt, da sie aus einem sehr dicken und schweren Wollstoff bestanden. So kam es, dass diese Jacken den Spitznamen „Pferdedecke“ erhielten. Vereinzelt und übergangsweise waren diese schweren Jacken noch bis in die 80er Jahre im Gebrauch und dienten erstmal, gerade bei jüngeren Mitgliedern, als eine Art „Übergangslösung“. Im Laufe der Jahre wechselte man zu einem wesentlich dünneren und leichteren Stoff. An der Farbgebung der Uniform kann man erkennen, dass sich der Spielmannszug Lichtenau an damaligen, preußischen Militäruniformen orientierte. Somit kann man sagen, dass Spielmannszüge sehr oft ihren Ursprung in Militärkapellen haben.

1974 erfolge wieder ein Wechsel an der Spitze des Dirigenten. Josef Bickmann übergab das Amt des Tambourmajors an Johannes Glahn Senior. Somit blickte Josef Bickmann auf eine insgesamt 46-jährige Tätigkeit als Dirigent zurück.

1975 gab es eine sehr große Wende für den Verein. Das erste Mal in der Vereinsgeschichte wurden Schülerinnen und Schüler an verschiedenen Instrumenten ausgebildet. Somit bekam der Spielmannszug zum ersten Mal auch Musikerinnen, was für die damalige Zeit ein schönes und modernes Bild abgab. Für diese Jugendlichen wurden als Uniform dunkelblaue Westen und als Kopfbedeckung dunkelblaue Schiffchen angeschafft. Diese Westen und Schiffchen sind auch heute noch im Gebrauch und werden stets an junge „Nachwuchsmusiker“ ausgegeben.

1976 wurde die Schützenhalle um einen Anbau in der vorderen Front erweitert. Hierdurch entstand der Speiseraum, den der Spielmannszug von jetzt an für die Übungsabende nutzen durfte. Ebenfalls in diesem Jahr begann der Verein mit dem traditionellen Wecken am Morgen des 1. Mai. Bereits morgens gegen 05:00 Uhr erklingen seitdem die Märsche in den Straßen von Lichtenau und wecken die Einwohner zum Maifeiertag. Dieser Auftritt schließt immer mit einem gemeinsamen Frühstück ab. 2016 konnte somit der Verein auf insgesamt „40 Jahre Wecken“ zurückblicken.

1977 wurde dann mit Vereinen aus der näheren Umgebung das 50-jährige Bestehen des Spielmannszuges gefeiert. Etwas verwunderlich erscheint es, dass erst Ende der 70er Jahre die erste Pauke und das erste Becken für den Verein angeschafft wurde. Der Grund ist nicht genau bekannt. Es ist davon auszugehen, dass der „alte“ Tambourmajor, Josef Bickmann, sich schlicht weigerte, solche Schlaginstrumente in den Verein aufzunehmen.

1987 feierte man das 60-jährige Bestehen. Hierzu zog die „alte Garde“ noch einmal die Uniform an und spielte bei einem Konzertnachmittag auf historischen, alten Instrumenten. In den 80er Jahren ging der Verein dazu über, nicht nur Märsche, sondern auch moderne Konzertstücke einzustudieren.

1987: Foto zum 60-Jährigen Bestehen

1988 feierte der Heimatschutzverein sein 325-jähriges Bestehen. Am Montag des Schützenfestes übergab Johannes Glahn Senior das Amt des Tambourmajors an Heiner Tewes.

1997 konnte der Verein das 70-jährige Jubiläum feiern. Ende der 90er Jahre ging der Spielmannszug dazu über, Märsche auch mehrstimmig und somit mit unterschiedlichen Registern einzuüben und zu spielen.

2002 wurde im Rahmen eines großen Musikerfestes das 75-jährige Vereinsjubiläum gefeiert. Weiterhin wurde in diesem Jahr der schwarze Querbinder der Uniform durch eine dunkelblaue Krawatte mit dem Spielmannszugemblem ersetzt. Somit erhielt die Uniform ein wesentlich moderneres Erscheinungsbild.

2003 übergab Heiner Tewes das Amt des Tambourmajors an Johannes Glahn Junior.

2007 feierte der Verein mit weiteren Spielmannszügen und Musikkapellen aus dem Stadtgebiet das 80-jährige Bestehen.

2013 konnte der Verein ein wirklich seltenes Ereignis begehen. Der Volksmusikerbund ehrte das Vereinsmitglied Josef Tewes für insgesamt 50 Jahre aktive Mitgliedschaft zum Verein. Somit konnte ein Urgestein des Spielmannszuges ausgezeichnet werden.

Bis zum Jahr 2015 fanden die Übungsabende immer im Speiseraum der Schützenhalle statt. Dieses spiegelt somit die gute Zusammengehörigkeit des Vereins zum Heimatschutzverein wieder. Im Herbst 2015 und im Winter 2015/16 Jahres konnte man in Eigenleistung einen eigenen Proberaum ausbauen. Seit Anfang 2016 finden die Proben im eigenen Vereinsraum in der Begegnungsstätte statt. Somit hat der Verein ein schönes, eigenes Zuhause gefunden, welches am 24. April durch den damaligen Pastor von Lichtenau, Hermann-Josef Sander, den kirchlichen Segen erhielt.

Der Spielmannszug Lichtenau ist aus dem Ortsbild der Stadt nicht wegzudenken. Aber auch über die Grenzen der Stadt ist er seit einigen Jahren sehr bekannt. So konnten z.B. Kontakte in das Waldecker Land geknöpft werden. Seit 2003 spielt der Verein dort regelmäßig zum Kram- und Viehmarkt in Diemelstadt-Rhoden auf, weiterhin begleiten die Musikerinnen und Musiker seit 2005 das dortige Schützenfest, welches in einem 5-Jahresrhythmus stattfindet.

Wer einmal Spielmannszugluft geschnuppert hat, möchte diese nicht mehr missen. Dieses wird daher deutlich, dass der Verein Mitglieder hat, die bereits seit über 40 und 50 Jahren dem Verein als aktive Musiker angehören. Selbst bereits ausgeschiedene Mitglieder halten durch eine passive Mitgliedschaft dem Verein die Treue oder besuchen gelegentlich die Übungsabende als „Gastmusiker“.

Besonders schön ist, dass viele Mitglieder des Vereins auch außerhalb der Musik miteinander befreundet sind und sich somit auch oft „ohne Uniform“ treffen.

Derzeit bereitet sich der Verein mit großen Schritten auf das Jubiläumsjahr 2027 vor, in dem der Spielmannszug das 100-Jährige Bestehen feiern wird.